Samstag, 28. März 2009

Ideale

Dies ist die Skizze eines Verständnisses von Bildung und Universität, welches ich zum Ideal erhebe und an dem sich die aktuelle Situation der Universität Leipzig messen lassen muss.

Bildung
Bildung ist Selbstzweck. Die/Der sich Bildende studiert um der Selbstbildung willen, anstatt einer äußeren Logik und äußeren Anreizen zu folgen.
Bildung ist nicht unter dem Aspekt des Nutzens zu denken sondern unter dem des Geistes. Sie versucht den unersättlichen Hunger des Geistes zu stillen, der freien gedanklichen Bewegung, der Freiheit des Denkens.
Kern der Bildung ist der Diskurs, die Auseinandersetzung im Streitgespräch. Lehrende und Lernende kommen in atmosphärisch anregenden und an Traditionen anknüpfenden Situationen zusammen. JedeR darf teilnehmen und sich einbringen, jedeR wird gehört. Das Kaffeehaus, der symbolische Ort dieses freien und offenen Raumes, verkörpert diese Art Bildung. Studieren heißt auch Kaffee trinken, lesen, schreiben, diskutieren: Atmosphäre. Freier Geist durch freien Raum.
Die Freiheit des Denkens spiegelt sich in der eigenverantwortlichen Organisation der Bildung wider: StudentIn geht zu den Lehrveranstaltungen, oder auch nicht. StudentIn schließt sich tagelang in der Bibliothek ein, um ein Buch nach dem anderen zu lesen und selbst gewählte Themen zu vertiefen, oder auch nicht. StudentIn studiert nur ein Fach, oder auch zwei. StudentIn beendet ihr/sein Studium in der Regelstudienzeit, oder auch nicht. JedeR hat ihr/sein individuelles Anregungspotential und gibt ihrer/seiner Bildung dementsprechend eine individuelle Struktur. Freier Geist durch freie Strukturen.
Bildung bricht das Bekannte, das Festgefahrene, das Gesetzte auf. Sie stiftet Konfusion und schafft so eine neue Offenheit gegenüber der Welt.
Selbstständiges Denken ist kreativ und wird der stupiden Wissenseintrichterung vorgezogen. Bildung heißt Vermittlung von Kompetenzen zur Selbstbildung.
Bildung heißt kritische theoriegeleitete Auseinandersetzung mit Theorie und Praxis.

Universität
Die Universität ist ein Ort, der dieser Bildung Raum bietet. Sie ist ein Ort des Denkens, des Vor- und Nachdenkens, des Querdenkens. Ein Ort des Fragens, des Hinterfragens, des Immer-wieder-in-Frage-Stellens. Die Universität ist unabhängig.
Sie garantiert die Freiheit von Forschung und Lehre. Ausschließlich dem wissenschaftlichen Anspruch, der stets reflektiert wird, verpflichtet ist sie frei in Themenwahl und Methode. Sie allein setzt ihre Standards und wird an diesen gemessen. Die Universität folgt der Eigenlogik, die sie sich selbst gibt.
Autonomie meint nicht Abschottung. Im Gegenteil: Aus ihrer Freiheit und dem darin wurzelnden Selbstbewusstsein heraus kann sie sich erst öffnen. Die Universität holt sich Inspiration von außen und gibt Ergebnisse nach außen. Der Erkenntnisgewinn jedoch darf nicht von externen Faktoren bestimmt sein.
Sie ist der Wahrheit und der Erkenntnis verpflichtet. Sie diskutiert diese Begriffe und strebt ihnen gleichzeitig entgegen. Sie ist ein sozialer Ort des permanenten Austauschs und der ständigen Anregung, ein Ort des Diskurses, ein Ort der kritischen Auseinandersetzung mit Mensch und Gesellschaft. Die Gesellschaft ihrerseits lebt von dieser grundlegenden kritischen Haltung und bedarf der fragenden, selbst denkenden und kreativ tätig seienden Menschen.
Sie bringt akademischen Nachwuchs hervor.
Da die Universität ein Ort der Bildung ist und Bildung Selbstzweck, treffen hier motivierte, suchende, sich dem Ideal verpflichtet fühlende Lehrende und Lernende aufeinander.
Die Universität ist der Ort, an dem ein eben solches Ideal von Bildung und Universität geboren, diskutiert und immer wieder neu geboren wird.

2 Kommentare:

garak hat gesagt…

hi. ich find eure idee super, aber den text zum bildungsbegriff will ich doch nicht unkommentiert lassen.
einigen der thesen muss doch widersprochen werden:

1. Bildung ist Selbstzweck. Die/Der sich Bildende studiert um der Selbstbildung willen, anstatt einer äußeren Logik und äußeren Anreizen zu folgen.

bildung als selbstzweck ohne äußeren anreizen und logiken zu folgen? ich weiß nicht, der mensch lebt ja - als geistiges und materielles wesen - in einer welt, die ihn ständig mit reizen konfrontiert, und die auch als impulse für bildung wirken (können) und ich denke, dass der mensch immer auch eine gewisse verantwortung hat, anderen menschen gegenüber und daher bildung nicht nur selbstzweck ist, sondern vorallem auch bewusste und aktive auseinandersetzung mit der - äußeren - welt, um sie zu verstehen, in ihr leben zu können, und - im idealfall, schimpft mich idealist - sie ein klein wenig zu verändern (verbessern?). bildung kann daher nie nur selbstzweck sein, sondern vollzieht sich immer in einem spannungsfeld zwischen selbstgenügsamkeit und weltgewandtheit, eine bildung nur als selbstzweck mag zwar nobel sein aber sie würde, wie ein glasperlenspiel doch nichts bewegen können, und beim beharren auf ihre selbstzweckhaftigkeit sich selbst gar in gefahr bringen.

2. Bildung heißt Vermittlung von Kompetenzen zur Selbstbildung.

ganz gefährlich. heißt bildung nicht auch sich mit INHALTEN zu befassen, mit dem was? dem wozu? und nicht nur mit dem wie? wenn mensch nur lernte, wie er besser lernt, nun, was lernt er dann? diese behauptung gleicht den leeren phrasen die sich in der aktuellen propaganda für das soganannte lebenslange lernen überall finden. bildung heißt aber auch sich mit inhalten zu befassen, und gerade dieser frage sollte mensch nachgehen, was muss mensch wissen? was muss mensch tun? und nicht nur alles frei und geistig und schön und trallala sondern eben auch bezug auf das leben nehmen. und kritisch essentielle themen zu behandeln - das ist auch bildung. und dazu muss debattiert werden, was diese themen sind!

den begriff der kompetenz würde ich sowieso als inhaltsleer zurückweisen, besser: fähigkeit, befähigung... aber wichtiger: wozu soll gelernt werden, zu lernen? hm... ich wiederhole mich...

Anonym hat gesagt…

Danke Garak - ein schöner Hinweis auf das dialektische Verhältnis von Bildung im Bezug auf Theorie und Praxis und deren notwendige gegenseitige Vermittlung!