AN DER FAKULTÄT FÜR SOZIALWISSENSCHAFTEN UND PHILOSOPHIE DER UNIVERSITÄT LEIPZIG
Drei Jahre nach der überstürzten und übereifrigen Einführung der BAStudiengänge an der Universität Leipzig sind die meisten der von Anfang an bestehenden Probleme noch immer nicht ansatzweise behoben.
Die Fachschaftsräte der Fakultät für Sozialwissenschaften und Philosophie haben zur Herstellung der Studierbarkeit in den „neuen“ Studiengängen – auch und gerade hinsichtlich der besonderen Ansprüche sozial und geistes bzw. kulturwissenschaftlicher Studiengänge – die folgenden Anregungen und Forderungen ausgearbeitet.
Einerseits sollen die einzelnen Punkte über mögliche Veränderungen innerhalb der Bachelor Studiengänge informieren, andererseits nehmen sie in Form einer fakultätsweiten Resolution die entsprechenden Gremien und Verantwortlichen direkt in die Pflicht diese Veränderungen durchzusetzen.
Freiheit und Vielfalt
• Im Zuge der Freiheit und Vielfalt des Studiums fordern wir die Realisierung echter Wahlfreiheit zwischen und innerhalb von Modulen, egal ob in einem Wahlbereichs oder Zweitfachkonzept.
• Ein gewisses Maß an Wahlfreiheit lässt sich durch flexiblere Modulstrukturen, d.h. durch das konsequente Aufbrechen der flächendeckend eingeführten dreigliedrigen Modulstruktur – beispielsweise zugunsten vielfältigerer kleinerer Module –, sowie durch den Verzicht auf zwingend konsekutiv strukturierte Studienabläufe und auf ausschließende Teilnahmevoraussetzungen ermöglichen.
• Größtmögliche Wahlfreiheit wäre durch die Möglichkeit selbständiger Zusammenstellung vor Teilveranstaltungen zu Modulen aus einem vorher definierten Pool inhaltlich zusammenhängender bzw. aufeinander bezogener Veranstaltungen gewährleistet.
Bildungsverständnis
• Ausgehend von einem Bildungsverständnis, das weit über bloße „Ausbildung“ hinausgeht fordern wir den Verzicht auf die Vermittlung und Abfrage von unreflektiertem Stichpunkt und Beispielwissen. Ein Studium soll Kompetenzen zum selbstständigen Umgang mit und zur kritischen Reflexion von Quellen und Problemen vermitteln.
• Wir lehnen daher MultipleChoiceKlausuren, Testate etc. ab und fordern eine angemessene und überlegte Verteilung und Auswahl zu erbringender Prüfungsleistungen, d.h. Reduzierung der Klausuren zugunsten selbstständig zu erarbeitender Leistungen und Ausweitung des Spektrums möglicher Prüfungsleistungen; genannt seien exemplarisch Projektarbeiten, Protokolle, Hausklausuren und mündliche Prüfungen.
• Der Status der sogenannten „Übungen“ muss abschließend geklärt werden, statt verkappter zusätzlicher Seminare sollten diese als tutoriale Elemente auf freiwilliger Basis zu den Vorlesungen und Seminaren angeboten werden.
Workload
• Das kontroverse Konzept „Workload“ (WL) muss – seiner Intention entsprechend – als Richtlinie zur Vergleichbarkeit von durchschnittlichem Arbeitsaufwand zur Erlangung von „Kompetenzzielen“ und daher mit entsprechendem Fingerspitzengefühl gehandhabt werden.
• Wir fordern eine ernsthafte und sorgfältige Auseinandersetzung mit den Workload Berechnungen der Module unter Einbeziehung von StudierendenvertreterInnen.
• Da die Lehre in den Sozial Geistes und Kulturwissenschaften größtenteils lektürebasiert stattfindet, ist ein entsprechend großer Anteil des WL für die notwendige selbstständige Erarbeitung von Quellen und Texten vorzusehen.
• Die vorgesehenen 900 WLStunden pro Semester müssen auch auf die vorlesungsfreie Zeit verteilt werden (900h/15Wochen hießen 60h/Woche!), dies ist beispielsweise bei den Abgabeterminen für Hausklausuren, Haus und Projektarbeiten zu beachten; in diesem Zusammenhang muss generell die Praxis einen Großteil der Leistungen innerhalb weniger Tage an den Semesterenden abzufordern zugunsten einer gleichmäßigen WLVerteilung verändert werden.
• Die im WL geschätzte durchschnittlich notwendige Präsenzzeit zum Erreichen der „Kompetenzziele“ bedeutet keinen Anwesenheitszwang, auf Anwesenheitslisten muss im Sinne eines eigenverantwortlichen Studiums weiterhin verzichtet werden.
Rechts und Verfahrenssicherheit
• Zur Gewährleistung von Rechts und Verfahrenssicherheit und im Sinne des neuen Hochschulgesetzes soll kein Studium mehr ohne gültige Studiendokumente stattfinden.
• Alle Regelungen bezüglich des Studiums müssen im Sinne der Transparenz verständlich aufbereitet zur Verfügung gestellt werden und durch entsprechende Gremienbeschlüsse legitimiert sein. Dies gilt vor allem für die sogenannten Einschreibeverfahren zu den Modulen, in diesem Zusammenhang müssen interne Absprachen und sogenannte „best practices“ sofort durch verständliche und transparente Regelungen ersetzt werden.
• Notwendige Verbesserungen der Studiensituation können im Interesse aller Beteiligten nicht länger auf die lange Bank geschoben werden, im Sinne des Bestandsschutzes dürfen Neuregelungen – vor allem in den Studien und Prüfungsordnungen – trotzdem nicht ohne Zustimmung der Betroffenen rückwirkend in Kraft gesetzt werden.
Qualität der Lehre
• Die Lehre in den auslaufenden und den neu eingeführten Studiengängen muss im Sinne eines ausgewogenen Verhältnisses zwischen Lehre und Forschung durch Professuren und wissenschaftliche MitarbeiterInnen abgesichert sein.
• Die durch den Hochschulpakt 2020 entstehenden Zusatzbelastungen müssen durch Verstetigungen in der Personalstruktur kompensiert werden.
• Lehraufträge und Tutorien/Übungen durch Wissenschaftliche bzw. Studentische Hilfskräfte können nur zusätzliches Lehrangebot im Sinne inhaltlicher Ergänzungen darstellen.
• Hilfskräfte müssen gemessen an ihrem realen Arbeitsaufwand bezahlt werden.
• Die Beschäftigung von „Lehrbeauftragten für besondere Aufgaben“ zur Absicherung regulärer Lehrveranstaltungen und die Einrichtung sogenannter Lehrprofessuren lehnen wir grundsätzlich ab.
• Prekäre Beschäftigungsverhältnisse sind weder aus der Perspektive der Lehrenden, noch aus der der Studierenden ein geeigneter Ersatz für reguläre Stellen in der Lehre.
Mobilität
• Um die durch den „BolognaProzess“ versprochene nationale und internationale Mobilität der Studierenden zu gewährleisten, fordern wir eine unbürokratische Anerkennung von Studienleistungen.
• Auf zwingend konsekutive Studienverläufe ist zu verzichten. Die Flexibilisierung der Modulstruktur und das Anbieten von Wahlpflicht statt der Forderung festgelegter Pflichtmodule würde die Mobilität der Studierenden erhöhen bzw. gewährleisten.
• Erforderlich ist die generelle Unterstützung von Auslandsaufenthalten und entsprechender Praktika, hier entstehen durch die Studienreform neue Probleme, die durch sinnvolle Regelungen gelöst werden müssen – „mobile Studierende“ sollen keine Nachteile in ihrem Studium zu befürchten haben.
4 Kommentare:
Eine gute Resolution, die sich auf die aktuellen Probleme des Leipziger Bachelors bezieht, diese teilweise auch auf der Kritik zugrundeliegende Bildungsideale bezieht und allen Beteiligten Veränderungsperspektiven eröffnet.
ABER: Als offensichtlicher Minimalkonsens der 5 beteiligten Fachschaftsräte, wird in dieser Resolution der logische Schluss aus den zumindest immanent genannten Idealvorstellungen nicht konsequent gezogen.
Diese Konsequenz kann nur die Infragestellung des Bologna-Prozesses und seiner Umsetzung in Leipzig als Gesamtprojekt sein!
http://www.universityworldnews.com/article.php?story=20090320100214606
http://www.sz-online.de/_icons/sz_234_60.gif
Mit der Umstellung des Studiensystems auf Bachelor- und Masterstudiengänge nach den Bologna-Reformen begann auch die Kritik an selbiger. In Leipzig hat sich eine Gruppe von StudentInnen gegründet, sie organisieren die "It will happen"-Protesttage. Radio Corax sprach mit zwei VertretterInnen der Gruppe.
http://www.freie-radios.net/portal/content.php?id=27088
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